Showcase: TAĪĪZ
DJ, Soundarchitektin und afghanische Rebellin hinter den Decks

Taīz Nawab aka TAĪĪZ ist DJ, Kuratorin und Mitgründerin des jungen Labels Anaristan Saaz – eine talentierte Künstlerin, die Kontraste auf allen Ebenen lebt. Mit ihrem energiegeladenen Art und einer klaren Haltung bricht sie in der deutschen Clubszene Tabus und verbindet scheinbare Gegensätze spielerisch. Ihre DJ-Sets vereinen u.a. Hip-Hop, Afrobeat, Funk mit afghanischen Sound und schlagen so eine Brücke zwischen Kulturen und Traditionen. Wer denkt, dass diese Welten nicht zusammenpassen, wird von TAĪĪZ eines Besseren belehrt. In einem ausführlichen Interview erzählt sie uns von ihrem Weg als DJ, den Herausforderungen in der Musikindustrie und ihrer Leidenschaft, afghanische Musik in der Clubszene eine Bühne zu geben.
Zwischen Tabla, Pop und Breakdance – Aufwachsen im Melting Pot von Hamburg-Steilshoop
In den 1980ern in Hamburg-Steilshoop aufgewachsen – einem Bezirk voller Gegensätze – wächst TAĪĪZ mit einer musikalisch diversen Mischung aus Hip-Hop, Michael Jackson, Bollywood und afghanischer Musik auf. Ihre beiden Brüder spielen Tabla – einer ist heute Rapper, der andere war in den 80ern Teil der Hip-Hop-Kultur mit B-Boying, Graffiti und später als DJ. Ihr Vater prägte sie besonders, wenn es um klassische südasiatische Musik ging. Sie lernte schon sehr früh, dass Musik ein Spiegelbild verschiedener Welten ist. Doch als Kind war die afghanische Musik lange nur ein privates Erlebnis. Aufgrund der instabilen politischen Lage Afghanistans und der damit verbundenen negativen Wahrnehmung im Westen, wurde die eigene Kultur nur innerhalb der Community gelebt. Afghanische Sounds liefen nicht in Clubs oder auf Partys – sie gehörten in die eigenen vier Wände oder auf afghanische Hochzeiten, fernab der Öffentlichkeit. Doch irgendwann hatte TAĪĪZ keine Lust mehr, sich zu verstecken. Musik wurde ein fester Teil ihrer Identität – eine Mischung aus verschiedenen kulturellen Einflüssen.
TAĪĪZ‘ Kampf um musikalische Selbstbestimmung
TAĪĪZ wollte selbst Musik machen, aber nicht um jeden Preis. Ihr erster Schritt in die Welt der Musik begann als Sängerin. Zu Beginn mit Erfolg, doch schnell wurde klar: Talent allein reicht nicht aus. Als afghanische Frau in der Musikindustrie war sie ständig mit Sexismus und Erwartungen konfrontiert, erzählt sie. Während ihre männlichen Kollegen einfach Musik machen konnten, wurde ihre Position immer wieder zum Gesprächsthema. Der Druck kam von allen Seiten: Grenzen wurden überschritten, alte Strukturen hielten sie klein. Eine große Chance musste sie aus diesem Grund ausschlagen, weil mehr von ihr erwartet wurde, als sie bereit war zu geben – danach „wurde ich einfach fallen gelassen“, sagt sie. Wer also nicht mitspielte, wurde aussortiert.
TAĪĪZ zog daraufhin die Reißleine. Sie pausierte mit der Musik und vertiefte sich in ihr Studium, um einen neuen Blick auf ihre Erfahrungen zu bekommen. In ihrer Abschlussarbeit „Islam als Resistance Culture“ untersuchte sie, wie Musik als künstlerischer Ausdruck als Widerstand genutzt werden kann. Diese Auseinandersetzung veränderte ihre Sichtweise – Musik wurde für sie nicht nur ein Job, sondern ein Tool, um kulturelle und politische Narrative neu zu denken. Gleichzeitig begann sie, selbst aktiv zu werden: Sie moderierte den Podcast „Soundspuren“ des Goethe-Instituts, in dem geflüchtete Künstler*innen aus Ländern wie dem Sudan, Afghanistan und Syrien von ihren Fluchterfahrungen erzählen, und kuratierte 2023 das Panel „Afghanistans Hidden Music Treasures“, dass sich mit der afghanischen Musikgeschichte und der Erhaltung von Vinyls und Kassetten beschäftigte.
Ein Kleiner Vorgeschmack: TAĪĪZ‘ Afghanistan Mixtape
Doch die Leidenschaft für ihre eigene Musik ließ sie trotzdem nicht los. Als sie in einer Weiterbildung zum ersten Mal mit dem DJing in Kontakt kam, war für sie klar: „Ich will einfach nur Musik machen.“ Ihr erster DJ-Workshop war jedoch leider ein Reinfall: Von Männern dominiert, die Stimmung hektisch, ohne Geduld für Neulinge. Also brachte sie sich die Basics selbst bei, übte Übergänge und Cuts im Alleingang und suchte nach einem Raum, in dem sie wirklich sie selbst sein konnte. 2023 war es dann endlich soweit: Ihr erster offizieller Gig – bei der Ausstellungseröffnung Ava Collective: Kindheiten von der Autorin und Künstlerin Moshtari Hilal in Bremen. Ein Moment, in dem sie ihre kulturellen Wurzeln mit ihrer neuen musikalischen Reise verschmolzen sah. „Ich war einfach nur happy, Teil davon zu sein!“
„Das, was du machst, ist Heilung!“
Was bei TAĪĪZ direkt hörbar wird? Sie denkt Musik nicht in Genres, sondern in Möglichkeiten. Ihre Sets sind eine kreative Fusion aus Hip-Hop, anatolischen und afghanischen Rhythmen, Bollywood, Latin, Flamenco, Arabic & African Music, Funk, R&B, Afrobeat. Aber sie mischt nicht einfach Tradition und Moderne – sie erschafft etwas, das sich so organisch anfühlt, als hätte es schon immer existiert. „Afghanische Musik war nie anders – sie war immer da!“ Genau das möchte sie auf der Tanzfläche zeigen. Ihre Musik wird somit zum Meltingpot ihrer kulturellen Einflüsse – ein feiner Shift von Kultur, in der das Übersehene endlich Platz findet.
Mit unerwarteten Kombinationen überrascht sie ihr Publikum: Ein Latin Mix von Spice Girls‘ „Spice Up Your Life“ trifft auf Mohammad Assaf‘s „Dammi Falastini“, während Biggies „Hypnotize“ nahtlos in einen alten Pashto-Song von der pakistanischen Ikone Zarsanga übergeht. Diese Brüche sind kein Zufall, sondern sondern Teil ihrer ausgetüftelten Vision. Sie möchte Vertrautes mit neuen, unerforschten Sounds verbinden und das Publikum auf eine Reise mitnehmen.
Für TAĪĪZ geht es dabei mehr als nur um Beats und Remixes. Afghanische Musik im Club soll selbstverständlich sein, kein exotisches Gimmick. Und genau das kommt an. „Afghanische Leute erzählen mir, wie sehr sie die alten Tracks berühren – Songs, die uns alle geprägt haben. Da kommt so viel Dankbarkeit zurück. Jemand hat mir mal gesagt: ‚Das, was du machst, ist Heilung!‘ Das war das schönste Kompliment, das ich je bekommen habe – genau dafür mach ich das!“
Community und Nachtleben – Ein Space für afghanische Frauen
Afghanische Musik im Club? Bis vor Kurzem undenkbar. Bollywood-Partys gibt es, aber afghanische Sounds und die Menschen, die mit ihnen aufwachsen, bleiben oft unsichtbar. Besonders afghanische Frauen haben kaum eine Plattform. „Uns wurde immer eingetrichtert, lieber zu sagen, dass wir iranisch sind“, erzählt TAĪĪZ.
Doch in den letzten Jahren verändert sich etwas. Auch die SWANA-Community, die für Südwestasien und Nordafrika steht, wurden in den letzten Jahren präsenter denn je. Immer mehr Künstler*innen aus der Diaspora bekommen eine Bühne und veranstalten deutschlandweit Events. Afghanischer Sound findet langsam, aber sicher ihren Platz neben anderen Musiktraditionen aus der SWANA-Szene, und die Clubkultur wird vielfältiger. Gemeinsam mit zwei afghanischen DJs veranstaltete TAĪĪZ die Partyreihe „Deejay-stān“, die Old-School-Tracks mit Afrobeats und indischer Musik kombinierten. Viele Gäste fühlten sich erstmals repräsentiert. „Ich wusste – ich mache weiter. Ich will afghanischen Frauen den Space geben, sich im Nachtleben wohlzufühlen und vielleicht sogar selbst mit dem DJing anzufangen.“
Allerdings bleibt es in Hamburg schwer, Fuß zu fassen. „Obwohl hier die größte afghanische Community Europas lebt, sind in der SWANA-Clubszene immer dieselben Leute präsent.“ Deshalb spielt sie zunehmend in Bremen, Bochum und Stuttgart, wo das Publikum offener und diverser ist. Ihr Auftritt als erste afghanische DJ auf dem İÇ İÇE Festival war für sie ein Meilenstein, aber erst der Anfang.

Ablehnung, Hürden und Durchbruch
Der Weg in die Clubszene war für TAĪĪZ alles andere als einfach. Besonders in der afghanischen Community stieß sie auf Widerstand, sowohl von Männern als auch von Frauen, die sich von ihrem Weg distanzierten. Als afghanische Frau hinter dem DJ-Pult? Für viele unvorstellbar. Kritik an ihren Skills und ihrer Präsenz im Nachtleben kamen häufig. Diese Ablehnung war kein Einzelfall – als Frau in der Szene kann man die eigene Position nicht einfach ausblenden, erklärt sie:
„Es geht nicht nur um die Musik. Die Erfahrungen als Frauen kann man nicht isolieren – auch wenn wir das gerne wollen. Diese Themen kommen auch in der Interaktion mit dem Publikum auf, und leider bleibt es nicht nur dabei. Es sind immer Machtverhältnisse im Spiel.“
In Deutschland gibt es kaum afghanische Female-DJs – nicht aus Mangel an Talent, sondern weil es nie eine Kultur des Supports gab. TAĪĪZ selbst weiß, wie sich das anfühlt: ignoriert zu werden, von den eigenen Leuten genauso wie von der etablierten DJ-Szene. Obwohl viele ihre Arbeit sehen – ihre Social-Media-Kanäle checken, ihre Musik kennen – bleibt echte Anerkennung oft aus. Doch trotz dieser unsichtbaren Mauern bleibt TAĪĪZ standhaft. Sie setzt weiterhin auf ihre Leidenschaft, um afghanische Musik im westlichen Nachtleben sichtbarer zu machen – und genau das kommt an. Sie gibt mittlerweile selbst DJ-Workshops für FLINTA*-Personen, insbesondere BIPoC, und möchte zu einer offenen Clubkultur beitragen, in der sich afghanische Frauen nicht mehr verstecken müssen.
Ausblick: Afghanische Schätze bewahren
TAĪĪZ hat eine klare Vision für die Zukunft: Sie will den Space für afghanische Sounds in der Clubkultur weiter stärken. Geplant sind internationale Gigs und eigene Eventreihen, die nicht nur ihren Weg als Künstlerin festigen, sondern auch anderen Frauen in der Szene mehr Möglichkeiten bieten sollen. Ein wichtiger Befreiungsschlag in dieser Entwicklung war das 2024 gegründete Record Label Anaristan Saaz, das sie gemeinsam mit ihrem Geschäftspartner, DJ und Plattensammler Omid J, ins Leben gerufen hat. Das Label widmet sich aktiv der Bewahrung vergessener musikalischer Schätze Afghanistans und bringt diese wieder ans Licht – mit dem Ziel, afghanische und zentralasiatische Musik neu erlebbar zu machen. Mit dieser Mission im Gepäck und einer klaren Richtung für die Zukunft wird TAĪĪZ sicherlich auch weiterhin musikalisch und kulturell Menschen verbinden.
Für alle, die wissen wollen, wozu Taiiz am liebsten tanzt
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TAĪĪZ
Anaristan Saaz
Mehr über ihre spannende Projekte findest du hier:
Party: „Deejay-stān“
Panel: “Afghanistans hidden music treasures”
https://2023.fluctoplasma.com/programm/afghanistans-hidden-music-treasures.html
Podcast: “Soundspuren” (Goethe-Institut)