Showcase: Naemi Mirene Makiadi
Über Tanz und Aktivismus:
Bewegung als Ausdruck von Freiheit, Kultur und Community

Wer kennt es nicht? Bei Events und Festivals checken die meisten zuerst das Line-up und warten gespannt aufs nächste DJ-Set. Der Blick der Menge gerichtet auf die Decks – auf die Hände am Mixer, die Übergänge, die Drops. Die Crowd bewegt sich, aber oft nur nach vorne, hin zum DJ. Dabei steckt „Dance“ nicht ohne Grund in Dance Music – sie war nie zum reinen Zuhören gedacht. Früher waren Tänzer*innen fester Bestandteil der Clubszene, sie machten die Musik sichtbar, gaben dem Sound Körper und setzten Trends auf der Tanzfläche. Doch mit der Zeit rückte der Fokus immer mehr auf die Bühne – und die Tänzer*innen verschwanden aus dem Spotlight.
In dieser Episode werfen wir einen Blick auf die freiberufliche Tänzerin und Choreografin Naemi Mirene Makiadi, die zeigt, dass die Tradition weiterlebt und wie untrennbar Tanz, Community und Kultur miteinander verbunden sind. Bei einem Mango-Smoothie erzählt sie uns, warum es ihr so wichtig ist, diese Linien greifbar zu machen.
House is a feeling! Wie Naemi House-Dance kennen und lieben gelernt hat
Naemi, 24 Jahre alt und aufgewachsen in Backnang bei Stuttgart, entdeckte schon sehr früh ihre Liebe zum Tanzen. Mit zwölf begann sie mit Hip-Hop, tauchte dann tiefer in die urbane Tanzszene ein und fand sich irgendwann in einer Welt aus Afro, Locking, Jazz und Hip Hop wieder – Einflüsse, die bis heute ihren Tanzstil prägen. Doch ein Stil zog sie besonders in seinen Bann: House-Dance. „Ich habe schnell gemerkt, das ist voll mein Stil!“ erzählt sie. House-Dance ist für sie eine Sprache, die keine Worte braucht. Eine Art, Musik nicht nur zu hören, sondern durch Bewegung zu fühlen.
„House ist für mich Kultur, Spiritualität und Freiheit.“ sagt sie. „Wenn ich House höre, denke ich nicht nach – ich bewege mich einfach, so wie ich es in dem Moment fühle.“ Es ist eine Art Hingabe und Loslassen zugleich, ein körperlicher Ausdruck dessen, was Musik im Inneren auslöst. Es ist genau diese natürliche Verbindung zwischen Musik und Bewegung, die House als Tanzstil so besonders macht.
Was ist House-Dance?
House-Dance ist ein freestyle-basierter Tanzstil, der in den Underground-Clubs von Chicago und New York in den 1980er Jahren entstand und sich weltweit verbreitet hat. Er wurde von verschiedenen Subkulturen, vor allem der afroamerikanischen und latinx Community geprägt. Obwohl der Tanzstil mit der Zeit aus den Clubs verschwand, blieb die Kultur in Cyphers[1], Battles[2] und Sessions[3] lebendig – Orte, an denen Tänzer*innen weiterhin ihren Ausdruck finden und die Tradition fortführten. Im House-Dance geht es weniger um festgelegte Choreografien, sondern vielmehr um den direkten Ausdruck des Rhythmus und der Musik. „Es gibt House-Basics wie Loose Leg oder Farmer. In House-Classes lernt man sogenannte Combos. Das sind kleine Choreos, die sich auf die Basics konzentrieren. Mit der Combo geht es dann in den Freestyle“, erklärt Naemi. Die Basics sind der Einstieg, aber die wahre Freiheit kommt im Freestyle, wenn man die Musik spürt und sich von ihr leiten lässt.
Dabei baut House-Dance auf drei zentralen Elementen auf: Jacking, Footwork und Lofting. Jacking ist der Groove, der aus dem Oberkörper kommt. Das kann man sich in Form einer rollende Bewegung vorstellen, die den für House typischen 4/4 Beat aufnimmt und den Rhythmus direkt in den Körper fließen lässt. Footwork bringt dann Tempo ins Spiel: Schnelle, präzise Schritte, beeinflusst von Afro, Latin und Jazz. Dazu gehören Basics wie der Loose Leg, ein federnder Step nach vorne und hinten, oder der Farmer, der mit seitlichen und diagonalen Bewegungen den Raum nutzt. Lofting sorgt für fließende Übergänge zwischen Boden und Stand, mit weichen, fast schwebenden Bewegungen. Alles zusammen macht House-Dance zu dem, was es ist: ein Stil, der Technik mit Freestyle verbindet und den persönlichen Ausdruck in den Mittelpunkt stellt.
[1] Cypher: Ein spontaner Kreis aus Tänzer*innen, in dem nacheinander Freestyle getanzt wird.
[2] Battle: Ein Wettkampf, bei dem Tänzer*innen in direkten Duellen antreten.
[3] Session: Ein offenes Tanz-Training zum Austauschen, Üben und Experimentieren.
House-Kultur in Deutschland: Zwischen Repräsentation und Kommerzialisierung
Nachdem Naemi in ihrer Heimatstadt erste Erfahrungen gesammelt hatte, zog sie für ein halbes Jahr nach Brüssel – eine Zeit, die ihre Perspektive auf House und Gemeinschaft stark geprägt hat. Dort entdeckte sie die wahre Bedeutung der Freestyle-Kultur: „In Brüssel gibt es viele gemeinschaftliche Tänze wie Soultrains, und es entsteht ein extremes Community-Feeling. Man ist ständig im Austausch, lernt voneinander – das ist House!“ In der belgischen Hauptstadt fanden regelmäßig kostenlose Tanzfestivals statt, die im starken Kontrast zu den oft teuren Angeboten in Deutschland standen: „In Deutschland gibt es zwar auch Events, aber oft sind sie sehr teuer. Man muss oft viel Geld für Workshops, und Battles ausgeben – das kann mehrere hundert Euro kosten.“
Naemi sieht House-Dance als eine Kultur, die genau den Menschen Raum gibt, die in anderen Räumen oft ausgeschlossen werden. Doch genau hier liegt die Herausforderung: In Deutschland haben BIPOCs oft einen schwereren Zugang. „Viele kennen House nur als Musikgenre, nicht als Tanzstil. Und oft wird House im kommerziellen Nachtleben mit einem weißen Partyszene assoziiert. Dabei war House ursprünglich eine Kultur für alle – besonders für Minderheiten.“
Richtig bewusst wurde ihr das erst, als sie sah, wie anders die Dinge außerhalb der deutschen Grenzen laufen. „Als ich das erste Mal auf einer Session in Brüssel war, war ich baff, wie viele Schwarze Menschen dort waren. In Stuttgart bin ich oft einer der einzigen Schwarzen Menschen auf einem Event. Das ist ernüchternd, wenn man bedenkt, dass es sich um eine Kultur handelt die von schwarzen Menschen kommt.“
Battle-Erfahrungen und persönliches Wachstum
Naemi liebt Herausforderungen und hat schon an zahlreichen internationalen Battles und Tanzevents u.a. in Brüssel aber auch in Amsterdam und Antwerpen teilgenommen. Ein besonderes Highlight war das Tanzfestival Summer Dance Forever in Amsterdam: „Ich habe mir vorgenommen, bei allen Battles mitzumachen – Hip-Hop, House, Afrodance – einfach als persönliche Challenge.“ Die Konkurrenz war groß, das Event riesig: 250 Teilnehmende traten an, nur 24 kamen weiter. Auch wenn sie nicht in die nächste Runde kam, war sie zufrieden mit ihrer Performance. „Ich hatte meinen Spaß – darum geht es mir am Ende.“
Doch wie genau läuft so ein Battle eigentlich ab und wie sehen die Vorbereitungen aus? Naemi erklärt, dass ein Battle in der Regel mit einer Vorrunde beginnt, in der die Tänzer*innen in kurzen Freestyle-Performances ihre Moves zeigen. Danach folgen weitere Runden, bei denen nur die besten weiterkommen. In jedem Battle gilt es, sich der Konkurrenz zu stellen, sich mit neuen, kreativen Moves zu präsentieren und gleichzeitig auf die Reaktionen des Publikums und der Juror*innen zu achten. Da die Konkurrenz nicht schläft heißt es daher, kontinuierliches Training – Intensive Freestyle-Sessions, in denen neue Moves getestet, sich mit anderen Tänzer*innen ausgetauscht, nach neuen Tracks gesucht und aus Battles und Cyphers anderer gelernt wird. All das bringt sie im entscheidenden Moment auf die Bühne. Kurz bevor es los geht, ist sie dann meist ruhig und in sich gekehrt – sie sammelt ihre Energie, fokussiert sich und zieht sich zurück: „Ich rede dann auch mit niemandem“, beschreibt sie. Und wenn das Battle vorbei ist, gibt es gegenseitige Probs und man feiert gemeinsam – denn am Ende geht es um den Spaß und darum, dass alle die selbe Leidenschaft teilen: Das Tanzen!

Tanz als politische und soziale Bewegung
Naemi nutzt House-Dance, um Menschen zu verbinden und kreative Räume zu öffnen. Genau mit diesen Fragen beschäftigt sie sich auch in ihrem Studium der internationalen sozialen Arbeit –vor allem, wenn es um gesellschaftliche Strukturen und den Zugang zu Kultur geht.
Parallel dazu bringt sie ihre Perspektive ins Stuttgarter Kunstkollektiv ReCollect ein, das sich für mehr Sichtbarkeit Schwarzer und postmigrantischer Stimmen in der lokalen Kunst- und Kulturszene einsetzt. Im Zentrum steht dabei, BIPoC’s mit Formaten zusammenzubringen, bei denen es ums Feiern, Lernen und Austausch geht. Doch genau hier zeigt sich oft das grundlegende Problem. Kulturelle Teilhabe hängt meist von finanziellen Ressourcen ab:
„In Stuttgart gehen die Förderungen immer an die gleichen Vereine und Initiativen. Wenn wir Anträge stellen, heißt es oft, unsere Projekte seien zu „exotisch“ oder „nischig. Dabei geht es um Sichtbarkeit!“
Die eigentliche Frage dahinter ist: Wer bestimmt eigentlich, welche Räume entstehen dürfen und wer darin sichtbar wird? Für Naemi bedeutet das vor allem eins: selbst Räume schaffen, wo sie fehlen. Genau an diesem Punkt treffen Tanz, Studium und ihre Kollektivarbeit aufeinander. Sie wartet nicht darauf, dass sich Strukturen von selbst verändern – sie gestaltet sie aktiv mit. Ob auf der Tanzfläche, in der Uni oder im Aktivismus – ihr Antrieb bleibt derselbe: Orte zu schaffen, an denen Menschen sich begegnen, ausdrücken und entfalten können.
Naemis next Moves: Tanz – Training – Community
Mit Blick in die Zukunft ist Naemi voller Tatendrang. Sie unterrichtet mittlerweile selbst House-Classes in einer Tanzschule in Echterdingen Außerdem gibt es jeden 1. Mittwoch im Monat House Sessions die im clubCann in Stuttgart Bad Cannstatt stattfinden. Diese Sessions sollen lebendige Treffpunkte sein, an denen Menschen zusammenkommen, sich austauschen und gemeinsam den Spirit von House Music feiern. Diese Sessions sollen lebendige Treffpunkte werden, an denen Menschen zusammenkommen, sich austauschen und gemeinsam den Spirit von House Music feiern. „Das wird ein Raum für alle – für Tanz, für Training, für Community“, erzählt sie mit Begeisterung. Dabei verliert sie nie aus den Augen, woher der Groove kommt: „Ich finde es wichtig, immer an die Roots zu denken: Woher kommt das, wer hat das geprägt, woher stammt mein Wissen, dass ich über die Subkultur weitergebe? Der Hype vergeht, aber die Kultur bleibt.“ Für Naemi geht es beim House-Dance demnach weit mehr als um das Tanzen – es geht um Freiheit, um Gemeinschaft und darum, eine Kultur weiterzugeben, die schon lange bevor sie selbst auf der Tanzfläche stand, einen Ort für diejenigen schuf, die immer noch danach suchen.
Ihr wollt mehr von Naemi? Dann checkt ihre Socials für Einblicke in ihre Sessions, Events und Classes. Und für B-Side Stories hat sie eine exklusive Playlist mit ihren liebsten Deep Dance-Tracks zusammengestellt – reinhören lohnt sich!
Mehr von Naemi
https://www.instagram.com/naemimakiadi/
ReCollect Collective
https://www.instagram.com/recollect_collective/