Showcase: Mari Ella

Deep Waters, Deep Stories – Wie Mari Ella den Wandel der Tanzfläche durch die Stimmen ihrer Szene dokumentiert

© Mari Ella

New York: Kreatives Epizentrum im Umbruch

New York war schon immer ein Epizentrum der Kreativität – besonders hinsichtlich Dance Music, die in den 1990er Jahren einen ihrer Höhepunkte erreichte. Die Stadt, die niemals schläft, bringt unaufhörlich neue Sounds und visionäre Künstler*innen hervor. Doch seither droht der Stadt inmitten von Wandel und Kommerzialisierung das Wesentliche verloren zu gehen: die Musik als gemeinschaftliches Erlebnis. Hinzu kommt, dass die Clubkultur durch soziale Medien wie TikTok immer stärker in den Mainstream rückt – Clubs dienen immer häufiger als Kulisse für Content. Gleichzeitig mussten spätestens seit der Pandemie unzählige Nachtclubs schließen, wodurch sich die Frage zuspitzt: Was bleibt von der Clubkultur übrig, wenn sie nur noch konsumiert, aber nicht mehr gelebt wird?

Mari Ella erlebt diese Veränderung aus erster Hand. Als Tänzerin, DJ und Podcasterin kennt sie Brooklyn‘s Clubszene, in der sie seit zwei Jahrzehnten aktives Mitglied ist. Mit ihrem Podcast Dance To The Music dokumentiert sie die Stimmen der Szene und gibt Künstler*innen Raum, um über das zu sprechen, was Dance Music wirklich ausmacht. Sie hört zu, während sich die Kultur verändert – und sorgt dafür, dass die Geschichten nicht verloren gehen. Bei einem aufschlussreichen Online-Treffen gewährt sie uns einen Blick hinter die Kulissen ihrer Arbeit und ihre Sicht auf Dance Music.

Von Wien nach New York – Die Suche nach dem Groove

„Always listen to music, buy music, watching Viva and MTV at that time, so music was always there, but my first expression of it was always dance.”

Mari Ella wuchs in den 1980ern in Wiens Vororten auf und fand über Breakdance ihren Zugang zur Musik. Hip-Hop, R&B und die europäischen Charts begleiteten sie, jedoch fand sie mit Songs wie  „I Can’t Get Enough“ (1999) von Soul Searchers letztendlich ihren Weg in die Welt der Dance Music. Wien bot allerdings wenig Raum für ihre Leidenschaft. Also zog es sie weiter – erst regelmäßig nach Paris, wo sie an Cyphers und Battles teilnahm, und schließlich 2004 nach New York.

Dort angekommen, fand sie dank ihrer europäischen Kontakte schnell Anschluss in der lokalen Clubszene. Doch je tiefer sie eintauchte, desto mehr wollte sie die Musik nicht nur erleben, sondern selbst auflegen. 2017 begann sie schließlich mit dem DJing mit besonderer Vorliebe für Vinyl. Dafür nahm sie Unterricht beim renommierten Turntablist Rob Swift und lernte die Prinzipien von Mixing und Scratching.

„There’s an authenticity in Vinyl that digital formats can’t transport.”

Seitdem hat sie sowohl in New York als auch auf internationalen Bühnen Erfahrung gesammelt – vom MiCasa Festival in Mexiko bis zu Line-ups mit Größen wie Rich Medina, DJ Spinna und Kenny Dope. 2022 startete sie zudem in Brooklyn ihre eigene Eventreihe Deep Waters – ein Ort für deepen Sound, der das Tanzen wieder mehr in den Mittelpunkt rückt.

Dance To The Music – Ein Podcast aus der Community, für die Community

Mit Dance To The Music wollte Mari Ella mehr als nur einen weiteren Musik-Podcast schaffen. Sie sah, wie sich die Wahrnehmung von Dance Music veränderte:

„I wanted to create a space for artists to tell their stories and share their influences, but in a way that’s not just superficial.“

Ihr Podcast ist ein Gegenpol zur Schnelllebigkeit der Szene. Statt nullachtfünfzehn Interviews führt sie tiefgehende Gespräche mit DJs und Produzent*innen, die darüber sprechen, wie Tanz ihre Musik prägt, wie sich die Clubkultur verändert – und was verloren geht. Zu ihren Gästen gehören einflussreiche Stimmen wie Osunlade (Yoruba Records), Ash Lauryn (Underground & Black) und das DJ-Duo musclecars, das mit Coloring Lessons frische Impulse in New Yorks Clubszene setzt. Ihre Auswahl macht ihren Anspruch deutlich: eine Plattform für jene, die Dance Music aus der Community heraus gestalten, um ihren Perspektiven und Erfahrungen Raum zu geben.

Was als reiner Audio-Podcast begann, hat sich schnell zu einem Format entwickelt, das mittlerweile auch visuelle Einblicke bietet. Für Mari Ella steht dabei immer der persönliche Bezug zur Musik und zu ihren Gästen im Vordergrund: „One important reason for me is to feel like I can relate to their sound.“ Ihre enger Bezug zur Szene verleiht dem Podcast eine Authentizität, die ihn besonders macht:  

„Sometimes journalists, academics, or anthropologists want to talk or write about a certain topic – something underground or related to dance culture. They spend some time in that community, talk to certain people, do their interviews, write their books, and then they disappear. They are never part of the community again. And to me, that means they are not truly part of what they actually try to understand. I am part of the community, so I have a different understanding of it.“

Diese Tiefe kann nur von innen kommen – und genau das macht die Arbeit kleiner Formate so wichtig: Sie kommen direkt aus der Community und zeigen die ungeschönte, authentische Seite der Szene. Denn ein Club oder Kultur existiert nicht ohne seine Community. Er ist nicht nur ein freier Raum, sondern auch ein bewusster safe space für marginalisierte Gruppen, die ihren Platz sowohl auf der Tanzfläche als auch auf der Bühne oder hinter dem DJ-Pult finden.

Die New Yorker Clubszene im Wandel

In ihren Gesprächen geht es oft um die Veränderungen der Clubkultur, insbesondere in Bezug auf Konsumverhalten, Gentrifizierung und dem Zugang zur Musik. Mari Ella erinnert sich an die frühen 2000er, als New York der Hotspot war, um Musik zu erleben: „There were parties where mixtapes were made, which were later available.“ Musik zu entdecken und Tanzen zu gehen war damals ein Erlebnis, das direkt in den Clubs und Plattenläden stattfand – der Zugang war daher nur über den direkten Austausch möglich.

„In New York, you hear music everywhere, it can be 5 AM or midday, sometimes it can be annoying, but that’s part of the city.“

Doch mit dem städtischen Wandel hat sich die Dynamik verändert: „Through gentrification, things have changed. The people who moved in complain more,“ erzählt Mari Ella. Schon 2016 zeigte eine Untersuchung des NYU Center for Urban Science and Progress: Mehr als ein Drittel der einkommensschwachen Haushalte lebt in Vierteln, die akut von Verdrängung betroffen sind. Seitdem ist der Druck weiter gestiegen: Neue Bewohner*innen interessieren sich oft weniger für die Musik- und Kunstszene, Clubs müssen strengere Auflagen erfüllen, und der Fokus verschiebt sich immer mehr auf kommerzielle Interessen. Diese Veränderungen sind deutlich spürbar. Partys, die früher jeden Sonntag draußen stattfanden, sind längst zur Seltenheit geworden, erzähl Mari Ella:

„You used to go out to hear the music and dance to it, to release something—that was the main reason you went. The music should make you dance. Now, when you go somewhere, I feel like everything seems to be important except the music and people actually enjoying themselves.“

Es geht ihr nicht um Nostalgie. Vielmehr stellt sie die Frage: Was passiert, wenn Musik nicht mehr Kern des Cluberlebnisses ist? Während früher in Clubs das Tanzen im Mittelpunkt stand, scheint es heute mehr um Konsum, Selfies, und Status zu gehen, meint Mari Ella. Viele Menschen scheinen weniger an der Musik selbst interessiert zu sein, als daran, auf sozialen Medien zu zeigen, dass sie Teil eines „coolen“ Events waren. Doch die Verantwortung für eine gelungene Party liegt bei jedem Einzelnen, der daran teilnimmt. Denn eine Party ist nicht einfach nur Unterhaltung – sie ist ein sozialer Ort, in dem kollektive Energie entsteht und geteilt wird. Musik rückt immer mehr in den Hintergrund, während das Event als Marke in den Vordergrund tritt. Das verändert auch die Wahrnehmung von Künstler*innen und DJs: „It’s becoming harder to organize events where music stays at the center and the essence of dance music remains intact.“

Let’s dance to the Music again: Mari Ella’s nächsten Schritte

Mit Dance To The Music will Mari Ella genau das bewahren, was sie als Essenz der Szene sieht: die Verbindung zwischen Tanz, Musik und Community. Ihr Podcast soll weiter wachsen – mit Live-Aufnahmen, Festival-Specials oder neuen Formaten, die tiefer in die Szene eintauchen.

Auch als DJ bleibt sie aktiv und beschäftigt sich aktuell auch mit Musikproduktion. Ihr Ziel: „I want to continue growing the podcast and DJing, and both projects are important to me. They are part of my mission to keep the culture alive.“  Denn Dance Music war nie nur ein Genre – sie war immer eine Kultur. Und genau daran will Mari Ella erinnern:

„The music should make you dance and feel free – and that’s what we should really be looking for when we go out.“

Wer verstehen will, woher Dance Music kommt und wohin sie geht, sollte auf jeden Fall reinhören! 

Reinhören & Mitgrooven: DEEP WATERS with Mari Ella @TheLotRadio