Women to the Front!

Der lange Weg von Frauen im Musik-Producing

Frauen prägen die elektronische Musikszene, doch im Producing sind sie bis heute stark unterrepräsentiert. Ein Blick in unseren Deep Dive zur Geschichte der Dance Music zeigt: Die Pioniere, die als maßgebliche Wegbereiter gefeiert werden, sind fast ausschließlich Männer. Frauen waren von Anfang an Teil der Szene – als Vocalists, Songwriterinnen oder DJs, doch in den Studios, wo Tracks entstehen, sind sie bis heute kaum vertreten. Seit Jahrzehnten bleiben weibliche Produzentinnen unterrepräsentiert, marginalisiert oder unsichtbar. Eine aktuelle Studie der USC Annenberg School zeigt, dass Frauen 2024 nur 5,9 % der Produzierenden in der populären Musik ausmachten – ein kaum spürbarer Anstieg im Vergleich zu den 2,4 % im Jahr 2012. Noch drastischer: 93,3 % der erfolgreichen Songs wurden in den letzten 13 Jahren ohne eine einzige Produzentin erstellt. Das zeigt eindeutig, das dies ein systematisches Problem ist, wodurch Frauen der Zugang zur Musikproduktion erschwert oder verwehrt wird. Wieso ist das so? Weshalb braucht es mehr weibliche Perspektiven im Producing? Und warum beginnt sich das erst jetzt langsam zu ändern?

Strukturelle Hürden: Wer produziert, entscheidet, was gehört wird

Musikproduktion bedeutet Kontrolle: Wer produziert, setzt den Ton und bestimmt, welche Sounds prägen, welche Künstler*innen sichtbar werden und wer als Tastemaker gilt. Wenn dieser kreative Entscheidungsprozess fast ausschließlich von Männern geprägt wird, bleiben andere Perspektiven außen vor. Ein zentraler Grund für dieses Ungleichgewicht liegt in der strukturellen Organisation der Musikbranche. Studios waren lange physische Räume der Exklusivität, in denen Männer ihre Netzwerke bildeten. Viele Frauen hatten historisch keinen Zugang zu diesen Orten, sei es durch fehlende Vorbilder, finanzielle Hürden oder das Fehlen von Förderungsstrukturen, die weibliche Produzentinnen gezielt unterstützten. Die Digitalisierung hat diese Barrieren zwar leicht abgebaut – Software und Heimstudios ermöglichen einen unabhängigeren Einstieg – doch Netzwerke und Repräsentation bleiben letztlich entscheidend und hier besteht weiterhin ein massives Ungleichgewicht.

„Frauen und Technik?“ Wie Stereotype den Zugang beeinflussen

Die Wahrnehmung, dass Musik-Producing technisches Wissen erfordert, hat eine entscheidende Rolle dabei gespielt, Frauen aus dem Bereich auszuschließen. Historisch wurde Technologie als „männliches“ Feld betrachtet, während Frauen vor allem als Performerinnen in Erscheinung traten. Die Behauptung, Musikproduktion sei „technisch kompliziert“, wurde als Argument genutzt, um Frauen von den Reglern fernzuhalten, während sich parallel männliche Produzenten als DIY-Genies inszenieren konnten. Heute sind digitale Tools und Producing-Tutorials zugänglicher als je zuvor und die Argumentation, Musikproduktion sei eine rein technische Disziplin, verliert dadurch an Halt. Trotzdem hält sich das Klischee hartnäckig. Das Problem ist nicht nur der Umgang mit Technik, sondern der fehlende Zugang zu Support-Systemen, Mentorinnen und der Mangel an sichtbaren Vorbildern, die zeigen, dass Producing kein exklusiv männliches Feld ist.

Die gesellschaftliche Dimension: Warum eine diverse Musikproduktion wichtig ist

Musik spiegelt die Gesellschaft wider oder sollte es zumindest tun. Doch ein von Männern dominiertes Produktionsumfeld führt dazu, dass vor allem männliche Perspektiven in die Musik einfließen. Dabei geht es nicht nur um die Quantität weiblicher Produzenten, sondern um die Qualität der Perspektiven, die dadurch verloren gehen. Das betrifft nicht nur Frauen, sondern beispielsweise auch queere Künstler*innen, BIPoc oder Künstler*innen aus nicht-westlichen Kontexten. Eine vielfältige Produktionslandschaft bedeutet nicht nur mehr Gleichberechtigung, sondern auch musikalische Innovation – neue Klangbilder, neue Narrative, neue Impulse, die die Szene bereichern. Elektronische Musik lebt von Vielfalt, doch solange diese Vielfalt nicht auch in den Produktionsstrukturen verankert ist, bleibt sie eine vage Behauptung.

Der lange Weg zur Sichtbarkeit

Zwar sind Frauen im kommerziellen Musikbereich sichtbarer denn je, doch ihr Einfluss hinter den Kulissen – insbesondere im Bereich des Producing – bleibt weiterhin begrenzt. Und genau hier liegt das Problem: Sichtbarkeit auf der Bühne allein reicht nicht, wenn die kreativen Prozesse dahinter weiterhin einseitig geprägt sind.

Die gute Nachricht? Immer mehr Initiativen setzen sich dafür ein, Produzentinnen gezielt zu fördern und ihnen den Zugang zur Szene zu erleichtern. Netzwerke wie SheSaid.So, Female:Pressure und Keychange schaffen Sichtbarkeit, Austausch und Support. Clubs und Festivals bemühen sich um diversere Line-ups, und digitale Plattformen bieten Künstlerinnen die Möglichkeit, ihre Musik unabhängig zu veröffentlichen – jenseits klassischer Gatekeeper. Auch Mentoring-Programme gewinnen an Bedeutung: Sie ermöglichen nicht nur technisches Lernen, sondern auch gegenseitiges Empowerment in sicheren Räumen. Strukturelle Hürden bestehen dennoch fort. Vieles verändert sich an der Oberfläche, doch tiefere Machtverhältnisse brauchen Zeit, um sich wirklich zu verschieben.

Was aber bleibt sind Produzentinnen die selbstbewusst aufregen. Nicht als Ausnahme, sondern als Teil eines neuen Selbstverständnisses innerhalb der elektronischen Musikszene. Der Weg zur Gleichberechtigung ist nicht abgeschlossen, aber spürbar in Bewegung. Und mit jeder neuen Perspektive wächst die Vielfalt, künstlerisch wie gesellschaftlich.

Wer sind die Frauen, die diesen Wandel mitgestalten?

Es gibt sie: Die Produzentinnen, die nicht nur Musik machen, sondern mit ihrem Sound und ihrer Arbeit die Szene aktiv mitgestalteten bzw. immer noch mitgestalten. Sie zeigen, dass Frauen nicht nur im Studio, sondern auch als visionäre Kräfte in der elektronischen Musik unverzichtbar sind. Ihre Namen tauchen vielleicht nicht immer an erster Stelle auf, doch ihr Einfluss ist unüberhörbar.

Hier sind neun Künstlerinnen – bei denen es sich lohnt, genauer hinzuhören:

Diese Frauen stehen exemplarisch für viele. Die Frage ist nicht, ob es Produzentinnen gibt, sondern warum so viele von ihnen so lange übersehen wurden. Und was sich ändern muss, damit ihre Namen in Zukunft genauso selbstverständlich fallen wie die ihrer männlichen Kollegen. Viel Spaß beim reinhören!

Suzanne Ciani gilt als eine der einflussreichsten Pionierinnen der elektronischen Musik. In den 1970ern experimentierte sie mit dem Buchla-Synthesizer und prägte mit visionären Soundlandschaften Genres wie Ambient und experimentelle Elektronik. Ihr erstes Album „Seven Waves“ (1982) fand besonders in Japan großen Erfolg. Trotz ihres Einflusses wurden ihre Werke lange nicht ernst genommen, und ihre Arbeiten landeten oft im Sounddesign für Werbung und Film. Heute wird ihr wegweisender Einfluss anerkannt, und ihre innovativen Synthesizer-Klänge haben Generationen von Künstler*innen inspiriert.

K-HAND war eine Techno-Pionierin und eine der wenigen Frauen, die sich in der von Männern dominierten Detroit-Techno-Szene durchsetzen konnte. Schon 1990 gründete sie ihr eigenes Label Acacia Records. Ein notwendiger Schritt, um unabhängig zu bleiben, während männliche Kollegen wie Jeff Mills und Robert Hood schneller internationale Anerkennung erhielten. Ihr kompromissloser Mix aus Detroit Techno und Chicago House prägte die Szene nachhaltig, was sie mit Tracks wie „Remember Me“  (1995) eindrucksvoll unter Beweis stellte. Dennoch blieb ihr Name lange im Schatten, bis sie 2017 offiziell offiziell von der Stadt Detroit als „First Lady of Detroit Techno“ gewürdigt wurde.

Tama Sumo und Lakuti sind ein einflussreiches DJ- und Produzentinnen-Duo, das sich mit tief verwurzeltem House, Techno und Percussion-lastigen Sounds einen festen Platz in der Berliner Underground-Szene erarbeitet hat. Beide starteten in den frühen 90ern und veröffentlichen gemeinsam Remixe und Tracks, unter anderem auf Ostgut Ton, und nutzen darüber hinaus ihre Musik, um Clubkultur mit einer bewussten, politischen Haltung zu verbinden. Während Tama Sumo als Resident der Panorama Bar ihr Gespür für emotionale, genreübergreifende Sets zeigt, bringt Lakuti mit Uzuri Recordings neue Künstler*innen in die Szene. Ihre Produktionen darunter der Remix von „Fertile Garden (Emerge)“ (2022) spiegeln ihre tiefe musikalische Sensibilität wider und vereinen organische Rhythmen mit rauen Dancefloor-Elementen.

Stacey „Hotwaxx“ Hale – vielen auch besser bekannt als „The Godmother of House“ – gilt als einer der ersten weiblichen DJs in Detroit und ist eine prägende Figur der US-House-Szene. Seit den späten 1980ern steht sie für kraftvolle Sets, in denen sie House, Techno, Funk, Motown-Soul mit Live-Instrumente verspielt verbindet. Als Produzentin und Performerin ist sie zudem mit Projekten wie Nyumba Muziki und Black Women Rock  aktiv und zeigt  in aktuelleren Veröffentlichungen wie dem Remix U Name It (2018) und Poet-itcal Truths (2025), ihre starke Verbundenheit zum ursprünglichen Detroiter House-Sound. Hale hat mit ihrem Engagement somit Generationen von Frauen ermutigt, eigene Wege in der elektronischen Musik zu gehen.

rRoxymore ist eine französische Produzentin und DJ, die mit ihrem experimentellen Ansatz elektronische Musik auf ihre ganz eigene Art und Weise neu interpretiert. Ihre Tracks verbinden kontrastreiche Stimmungen: warm und kalt, organisch und synthetisch, die  bewusst mit konventionellen Normen brechen. Seit ihrem Debüt „Wheel of Fortune“ (2012) auf dem Label Human Level entwickelt sie ihren Sound stetig weiter, durchdrungen von unruhigen Grooves, abstrakten Klängen und einer ungewöhnlichen Instrumentierungen. Mit der EP „Precarious/Precious“ und späteren Releases auf Labels wie Don’t Be Afraid und Smalltown Supersound ist sie zu einer wichtigen Stimme in der elektronischen Dance Music Szene geworden.

Paula Tape kombiniert House mit lateinamerikanischen Rhythmen, Percussion und Balearic Beat. Seit ihrem Durchbruch mit „Agua Congas“ (2018) hat sie einen organischen, groove-orientierten Sound entwickelt, der tropische Einflüsse mit der Island-Ästhetik des Balearic House vereint. Ihre neuste EP „Acid Latino“ (2024) hebt diesen Stil ganz besonders hervor: Hypnotische TB-303-Basslines treffen hier auf traditionelle lateinamerikanische Drums.

Die ugandische Produzentin Jenifa Mayanja ist eine prägende Kraft in der Black Underground-House-Szene. Mit souligen, jazzigen Beats und tiefen Afro-Rhythmen steht sie für einen warmen, deepen Sound, der ihre ugandischen Wurzeln klanglich widerspiegeln. Ein Beispiel für ihren unverkennbaren Stil ist das Album „Women Walking in the Shadow“ (2013), das elektronischen Jazz-House mit ruhigen Vocals verbindet. Über ihre Labels Bu-Mako Recordings und Sound Warrior Records setzt sie sich für die Sichtbarkeit weiblicher Produzentinnen ein und arbeitet daneben aktiv als Mentorin für angehende Produzentinnen und DJs. 

Die japanische Produzentin und Sounddesignerin Kyoka kombiniert in ihren Produktionen Field Recordings[1], modulare Synthesizer und Drum Machines, wodurch sie einen einzigartigen, im Moment wachsenden Techno-Sound kreiert. Ihr Album „IS (Is Superpowered) (2014) das auf dem Label Raster-Noton veröffentlicht wurde, brachte sie als innovative Klangforscherin in die internationale Szene, gefolgt von der EP SH (2016), die mit Tracks wie Hovering“ihre dynamische Herangehensweise an Rhythmus und Struktur unterstreicht. Mit Releases wie „Spoiled 130BPM“ (2020) erforscht sie weiterhin die Schnittstelle zwischen Clubmusik und avantgardistischem Sounddesign.

[1] Aufnahmen von Umgebungsgeräuschen
Asmara ist eine US-amerikanische Produzentin und Soundgestalterin mit eritreischen Wurzeln. Als eine Hälfte des Duos Nguzunguzu und als Solokünstlerin kombiniert sie futuristische Club-Sounds mit Einflüssen aus R&B, Rap und experimenteller Elektronik. Ihre Solo-EP „Lee Ting Go“ erschien 2017 auf dem Label Fade to Mind, das für seine innovativen, basslastigen Produktionen bekannt ist. Ihre experimentelle Herangehensweise an Sounddesign entwickelte sie während ihres Studiums am School of the Art Institute of Chicago, wo sie Improvisation und Klangexperimente erforschte. Neben ihren Produktionen war sie auch als Tour-DJ für M.I.A. unterwegs und ist eng mit der queeren und Latinx-geprägten Clubszene von Los Angeles verbunden.

Titelbild: Suzanne Ciani

Suzanne Ciani at KQED in August 2024.jpg by binksternet, CC0. 1.0