FEATURE: contain't
Langer Atem statt fester Boden:
Wie contain’t um Freiräume für alternative Kultur in Stuttgart kämpft

Seit einigen Jahren beobachten wir, wie die deutsche Clubkultur im Wandel ist und mit ihr die gesamte urbane Kulturlandschaft. Während Städte verdichtet werden, Neubauten in den Himmel schießen und Investoren neue Luxusquartiere einnehmen, bleibt für Kulturprojekte immer weniger Platz. Unabhängige Initiativen – von Clubs über Kulturvereine bis hin zu Kollektiven – kämpfen um ihre Existenz. Mieten steigen, Zwischennutzungen laufen aus, und die Bürokratie macht es vielen nahezu unmöglich, langfristige Standorte zu sichern.
Doch wie lange kann das gut gehen? Laut dem Bundesverband der Musikspielstätten LiveKomm ist die Zahl der Spielstätten in Deutschland in den letzten zehn Jahren um über 60 Prozent gesunken – von 2.300 auf nur noch 860. Besonders betroffen sind kleine bis mittlere nicht-kommerzielle Kulturorte, von denen 55 Prozent angeben, ohne Fördergelder in den nächsten zwölf Monaten nicht überleben zu können. Während immer mehr dieser Räume schließen, stellt sich die Frage: Wie lassen sich Freiräume in einer Stadtlandschaft bewahren, die zunehmend durch wirtschaftliche Interessen bestimmt wird? Wir treffen dazu Marco Trotta in der UHU-Bar im Stuttgarter Leonardsviertel, Mitbegründer und Geschäftsführer des Kunst- und Kulturprojekts contain’t e.V. in Stuttgart, der den urbanen Wandel und die Verdrängung nicht-kommerzieller Kulturorte aus erster Hand erlebt hat.
Von improvisierten Waggons zur Container-Stadt – Die Geschichte von contain’t
Die Anfänge des Kulturprojekts reichen bis in die frühen 2000ern, als Marco regelmäßig die Waggons (Bauzug3YG) am Stuttgarter Nordbahnhof besuchte – ein über Jahrzehnte gewachsener Ort alternativer Kultur. „Ich habe damals mit einem eigenen Waggon angefangen“, erzählt Marco. „Eine Mischung aus Bar, Performance-Space, Kino und Vortragsraum“ – ein unabhängiger Raum, der sich mit jeder Veranstaltung neu erfand. Das Projekt finanzierte sich durch Partys und Veranstaltungen, die von Kulturschaffenden der Waggons organisiert wurden, um alternative Kunst und Kultur in Stuttgart zu fördern. Doch 2011 war damit Schluss: Die Fläche wurde für das Bauprojekt Stuttgart 21 benötigt, und die Waggons mussten weichen.
contain’t entstand aus genau dieser Not heraus. Statt einer festen Fläche entwickelten Marco und sein Kollektiv eine mobile Kulturstätte aus Frachtcontainern – flexibel, anpassbar und unabhängig. Im Zuge der Proteste gegen Stuttgart 21 gelang es ihnen, ein Gelände in Bad Cannstatt zu sichern, allerdings nur als Zwischennutzung. Vier Jahre lang wuchs dort ein lebendiger Kulturort heran, der jedes Wochenende bis zu 1.200 Besucher*innen anzog. Doch 2016 war auch dieser Fläche Geschichte: Der Mietvertrag lief aus, contain’t musste erneut umziehen. Diesmal zurück zum Nordbahnhof, in die „Container City“ des Kunstvereins Wagenhalle. Diese bestand aus 100 Container, zwei Waggons und temporäre Architekturen, die als Ateliers, Proberäume und Büros genutzt wurden. Doch mit dem Erfolg blieb die Unsicherheit: Wie lange darf dieser Ort diesmal bestehen?

„Es braucht solche Flächen, und es braucht einen rechtlichen Rahmen dafür“
Zu dem Zeitpunkt wurde das Ganze politischer, erzählt Marco. Die Gruppe trat selbstbewusster gegenüber der Stadt auf und machte deutlich: „Es braucht solche Flächen, und es braucht einen rechtlichen Rahmen dafür. Denn das, was baurechtlich und organisatorisch vorgesehen war, klaffte weit auseinander mit der Realität – das ließ sich einfach nicht in Einklang bringen.“ Also forderten sie diesen Rahmen aktiv ein, doch das Ergebnis waren drei Bauantragsverfahren, die allesamt scheiterten. Trotzdem entstand über vier Jahre hinweg ein lebendiger Kulturbetrieb, der zeigte, dass alternative Kultur auch ohne langfristige Genehmigungen bestehen kann.
Bevor contain’t eine langfristige Perspektive entwickeln konnte, folgte die nächste Überraschung: Ende 2018 entschied eine vom Oberbürgermeister Fritz Kuhn eingesetzte „Taskforce Oper“, dass die „Container City“ bis 2022 der Staatsoper Stuttgart als Interimsspielstätte weichen müsse. Das Pikante daran? Contain’t und die anderen ansässigen Projekte – so auch der urbane Gemeinschaftsgarten Stadtacker und der Kunstverein Wagenhalle – erfuhren davon nicht durch offizielle Kanäle, sondern aus der Presse. Daraus entbrannte schnell eine öffentliche Debatte: Warum wird die freie Kulturszene geopfert, um Platz für eine Hochkultur-Einrichtung zu schaffen?
Statt sich verdrängen zu lassen, reagierte contain’t darauf kreativ. Gemeinsam mit anderen Akteur*innen der Container City verwandelten auf ihrer bestehenden Fläche die „Neue Oper“ – eine Idee, die sich die Bezeichnung der offiziellen Staatsoper aneignete und eine Plattform für alternative Kunst anbot. „Wir bauen die Neue Oper einfach selbst“ lautete die Devise. Vier Kollektive bespielten die Fläche immer mittwochs von 18 bis 0 Uhr regelmäßig mit Veranstaltungen, Kunstinstallationen und Performances. Das Projekt zeigte, dass sich nicht-kommerzielle Kultur zwar immer wieder anpassen kann, das Grundproblem dadurch jedoch nicht gelöst wird.
Lange wurde contain’t ehrenamtlich organisiert, doch der steigende Arbeitsaufwand war auf Dauer nicht mehr tragbar. Erst 2021 kam mit der Aufnahme in die Kulturförderungsliste der Stadt Stuttgart und den ersten Fördergeldern die längst überfällige Anerkennung. „Ich hab mich daran irgendwann vollkommen wundgelaufen“, erzählt Marco.
Die Suche nach einem neuen Standort – 16 gescheiterte Versuche
Parallel zur „Neuen Oper“ begann eine langwierige Suche nach einem neuen Zuhause. 16 Standorte prüfte contain’t innerhalb von viereinhalb Jahren – ohne Erfolg. Immer wieder scheiterte es an Lärmschutz, Umweltauflagen, schlechter Erreichbarkeit oder bürokratischen Hürden. Währenddessen hielt sich die Container City länger als ursprünglich geplant – das temporäre Projekt wurde zweimal verlängert, doch Ende 2024 schließlich offiziell abgebaut.
Doch es gibt Hoffnung: Nach jahrelanger Unsicherheit bekommt contain’t nun endlich eine langfristige Perspektive. Die Fläche des ehemaligen Parkhauses P7 im Cannstatter Neckarpark. Auch Mercedes-Benz und der VfB Stuttgart hatten Interesse an dem Areal angemeldet – doch am Ende setzte sich die Kulturszene durch. Nun steht fest: contain’t kann die Fläche zukünftig dauerhaft nutzen und erhält somit eine feste Heimat für die kommenden Jahre.

Zwischen Flexibilität und Unsicherheit – Wenn Kultur um Raum kämpfen muss
contain’t steht exemplarisch für eine Entwicklung, die in vielen Städten der Welt zu beobachten ist: Kulturprojekte beleben Stadtteile bis wirtschaftlich stärkere Akteure sie verdrängen. Große Institutionen sichern sich oft Flächen, weil sie Kapital, Netzwerke und langfristige Planungssicherheit mitbringen. Kulturinitiativen dagegen kämpfen mit befristeten Genehmigungen, bürokratischen Hürden und Lärmschutzauflagen. Am Ende zählt meist, was sich wirtschaftlich rechnet – nicht, was kulturell wächst.
Der Fall von contain’t ist zwar ein Erfolg, doch er macht deutlich, dass alternative Kultur in Städten wie Stuttgart hart erkämpft werden muss und trotz kreativer Lösungen und politischem Engagement jederzeit verschwinden kann. Gleichzeitig werden Städte immer stärker reguliert und wirtschaftlich optimiert, wodurch sich die Frage: Welche Rolle bleibt der freien Kultur? Und was muss passieren, damit Projekte wie contain’t langfristig bestehen können, anstatt immer wieder improvisiert zu werden?
Warum Städte Räume wie contain’t brauchen
Wenn Städte kreative und subkulturelle Projekte ermöglichen wollen, braucht es klare politische Weichenstellungen, betont Marco: langfristige Verträge für kulturelle Zwischennutzungen, vereinfachte Genehmigungsprozesse und eine stärkere Integration nicht-kommerzieller Kultur in die Stadtplanung. Doch es geht um mehr als Bürokratie. Es geht um die grundsätzliche Frage, welche Stadt wir gestalten wollen.
Alternative Kulturangebote sind mehr als Veranstaltungsorte – sie sind Experimentierräume, soziale Treffpunkte und ein Gegenpol zum wirtschaftlichen Druck, der Städte zunehmend formt. Gerade in einer Zeit, in der Innenstädte von Bürogebäuden, Einzelhandel und durchgeplanten Eventflächen dominiert werden, sind Orte wie contain’t unverzichtbar. Die Frage ist also nicht nur, ob contain’t Bestand hat – sondern ob Städte solche Orte langfristig sichern. Marco sieht Hoffnung in der neuen Generation:
„In den letzten Jahren sind viele Kollektive entstanden, die alle ihren eigenen Sound und ihre eigene Kultur mitbringen. Viele von ihnen stehen kommerziellen Clubs kritisch gegenüber und veranstalten dann lieber in einer abgefahrenen Location, einem Museum oder einfach im Freien. Das finde ich ist eine Bereicherung für die Clubkultur, dass eben die „Clubkultur“ bisschen raus kommt aus dem Club“
Für ihn zeigt das, dass reale Begegnungsräume weiter gefragt sind: „Lange war unklar, ob es nach Corona noch solche Orte geben wird oder ob die Feierkultur und junge Leute auf digitale Räume ausweichen. Aber aus meiner Erfahrung wollen die Leute sich trotzdem real begegnen – der Club bleibt also eine soziale Plattform.“
Die Zukunft der Stadt entscheidet sich nicht allein in Bauprojekten oder staatlich geförderten Kulturpalästen, sondern dort, wo Menschen zusammenkommen und sich frei entfalten können. Viel passiert bereits, doch ob Städte den kulturellen Wert solcher Räume wirklich anerkennen und langfristig in ihre Planung einbinden, bleibt offen. Wird es in Zukunft vermehrt Orte wie contain’t geben oder bleiben sie nur temporäre Lückenfüller, die immer wieder um ihren Platz kämpfen müssen?
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