Review: Retromigration – Cloudin’

Ein Album für endlose Chill-Sessions mit Tiefgang

© WOLF Music

Es gibt Alben, die im Moment ihrer Veröffentlichung gefeiert werden, aber schnell im endlosen Fluss neuer Releases untergehen. Und dann gibt es Alben wie Cloudin’ von Retromigration – Platten, die On-Repeat laufen und einen nicht mehr loslassen. Jetzt, ein Jahr nach seinem Erscheinen auf Wolf Music, wirkt dieses Album so frisch wie am ersten Tag. Retromigration hat sich in den letzten Jahren als einer der interessantesten Produzenten im Deep-House-Kosmos etabliert. Aufgewachsen in Deutschland, mit nigerianischen und ghanaischen Wurzeln, lebt er mittlerweile in Amsterdam und bewegt sich stilistisch zwischen House, Jazz und Hip-Hop. Seine Produktionen fallen auf, weil sie sich nicht an strikten Genregrenzen orientieren, sondern Einflüsse aus verschiedenen musikalischen Richtungen aufgreifen und in einen eigenen, wiedererkennbaren Sound übersetzen.

Obwohl er erst seit wenigen Jahren veröffentlicht, wird sein Name bereits mit Labels wie Wolf Music, Healthy Scratch und Ravanelli Disco Club verbunden. Seine Musik basiert auf fließenden Grooves, kombiniert mit einer klar elektronischen Handschrift – eine Mischung aus satten Bässen, verspielten Chords und einer hellen, oft jazzigen Atmosphäre. Seine DJ-Sets haben ihn inzwischen auf Bühnen in Amsterdam, Berlin, der Schweiz und Großbritannien geführt. Mit Cloudin’ erschien im April 2024 sein bislang ausgereiftestes Werk – ein Werk für wahre House-Heads.

Eine moderne Fusion aus House, Jazz und Electro

Die sechs Tracks auf Cloudin’ setzen nicht auf offensichtliche Dancefloor-Hits, sondern bauen sich alle organisch auf. Das Album klingt klar nach House, bringt aber Broken Beats, Jazz-Elemente und eine Menge groove-betonte Details ins Spiel.

1. „Cloudin“eröffnet das Album mit einer treibenden, groovigen Bassline, die sofort nach vorne zieht. Die Kick-Drum setzt den richtigen Push, ohne sich aufzudrängen, während roboterhafte Synths dem Track eine futuristische Kante verleihen. Dazwischen tauchen Flöten-Sounds auf, die an Vogelgesänge erinnern und dem Beat eine luftige, natürliche Note gibt. Die Kombination aus natürlichen und digitalen Elementen verleiht dem Track einen frischen, soulful und dennoch mechanischen Charakter. Eine Mischung, die tanzbar, aber auch smooth zugleich ist.

2. „Only Well“ bleibt groovy, aber mit einer entspannteren Struktur. Die treibenden Vocal-Schnipsel und das dezente Piano im Hintergrund schaffen eine fast verträumte Atmosphäre. Der Einsatz der Vocals erinnert dabei stark an „All You Do“ von seiner vorherigen Straight Foxin’ LP – ein ähnlicher Soundansatz, der Retromigrations Handschrift klar erkennen lässt. Plötzlich durchbrechen Broken Breaks das Gleichgewicht und verleihen dem Track eine überraschende Dynamik. Die Kombination aus weichen Harmonien und rhythmischer Vielschichtigkeit sorgt für eine Elektro-Jazz-Stimmung, die sich angenehm fließend entfaltet.

3. „Just Take It“startet mit einer funkigen, fast discohaften Leichtigkeit. Die ersten Takte erinnern an einen klassischen Boogie-Track, doch nach und nach entfaltet sich eine tiefere, hypnotischere Ebene. Die Bassline bleibt warm und funky, während subtile Dub-Elemente für Weite sorgen. Die Percussion verschiebt sich leicht und verleiht dem Track eine angenehme Unruhe ohne hektisch zu wirken.

4. „Everybody Knows“setzt auf ein ruhiges, aber dennoch treibendes Soundbild. Deep, soulful und hypnotisch entfaltet sich der Track in sanften Schichten. Der rote Faden ist hier klar erkennbar. Die Synths scheinen über den Beat zu schweben, während der Groove entspannt, aber beständig bleibt. Die Melodien haben einen süß-verträumten Touch, die den Track fast schwerelos wirken lässt. Alles ist auf das Nötigste reduziert – klar und präzise. Gerade deshalb wünscht man sich an manchen Stellen vielleicht ein bisschen mehr erzählerische Bewegung. 

5. „They Hatin“bringt eine experimentelle Note ins Album. Der Track setzt auch auf Broken Beats sowie afrikanisch inspirierte Drums, die sich mit einem Hauch von Jackin’ House verbinden. Die Texturen sind vielschichtig – einige Sounds erinnern an eine Kassettenrolle, die sich immer wieder zurückspult. Zwischendurch tauchen Trompeten auf, die sich kurzzeitig in den Mix schleichen und für einen jazzigen Twist sorgen.

6. „You Win“ beendet das Album mit einem weiten, fast träumerischen Soundbild. Gebrochene Beats, hallende Synths und kleine Effekte wie Telefontasten oder tropfenartige Vocals schaffen eine leicht surreale, fast filmische Atmosphäre. Der Track lässt sich Zeit, bleibt minimalistisch und hält konsequent seinen Vibe, was auch seine Stärke ist. Gleichzeitig fehlt es ihm dadurch stellenweise an Dynamik: Über die gesamte Länge wirkt er etwas zu monoton. Trotzdem funktioniert „You Win“ als ruhiger Ausklang, der das Album sanft abfedert, ohne nochmal aufdrehen zu müssen. Mehr Abschied in Zeitlupe als dramatischer Abgang.

Cloudin’ zeigt erneut, wie sicher Retromigration mit Groove, Raum und Klang umgeht. Die Tracks fließen mühelos zwischen House, Broken Beat und Soul, sind atmosphärisch dicht und fein ausbalanciert. Auch ein Jahr nach Veröffentlichung wirkt das Album frisch, durchdacht und in sich geschlossen – ein Sound, der wächst, statt zu verblassen. Gleichzeitig bleibt ein leichtes Gefühl von Zurückhaltung. Die für ihn typischen subtilen Brüche, überraschenden Elemente und klanglichen Twists sind da, wirken aber dezenter und weniger mutig gesetzt als erwartet. Einige Tracks ähneln sich im Aufbau, bevor sie sich im Detail doch noch voneinander absetzen. Eine Art „zwischen dem, was man kennt“ und dem, was plötzlich anders klingt.

Im Vergleich zur vorherigen Straight Foxin’ LP wirkt Cloudin’ fast wie eine breakbeat-orientierte Fortsetzung. Das ist stilistisch konsequent und sein klares Merkmal bleibt ein Pluspunkt. Doch gerade, weil in seinem Sound so viel Potenzial steckt, wäre etwas mehr Risiko oder Kontrast wünschenswert gewesen. Die Erwartungshaltung ist hoch, das aber zu Recht.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Cloudin’ ein atmosphärisch starkes, detailverliebtes Album ist, auch wenn die großen Überraschungen diesmal etwas leiser auftreten.